Versicherungsbote: Die Rahmenbedingungen für Lebensversicherer haben sich in den vergangenen Jahren teils drastisch verändert. Wie bewerten Sie aktuell die Situation der deutschen Lebensversicherer? Wo sehen Sie Chancen – wo Risiken?

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Michael Fauser: Die vergangenen Jahre waren ohne Frage herausfordernd. Die Rahmenbedingungen haben sich teilweise massiv und in kurzer Abfolge verändert, wie der Ukraine-Krieg, der rasende Anstieg der Inflation im vorvergangenen Jahr oder die Auswirkungen der Corona-Pandemie deutlich gezeigt haben. Für die Ergo Vorsorge kann ich aber sagen, dass wir diese Herausforderungen sehr gut gemeistert haben – auch weil wir sie bewusst angenommen haben.

Wir haben unser Angebot an kapitalmarktnahen und flexiblen Vorsorgeprodukten über die vergangenen Jahre kontinuierlich ausgebaut und konsequent an den Bedürfnissen der Kunden ausgerichtet. Denn auch die Lebensläufe der Menschen sind heute nicht mehr so stet wie früher: Das sehen wir unter anderem an der Zunahme von Sabbaticals oder auch der Teilzeitquote. Vor diesem Hintergrund ist es umso wichtiger, dass sich Altersvorsorgeprodukte flexibel an die Lebensumstände der Kunden anpassen lassen.

Die Branche insgesamt muss sich darauf einstellen und das Angebot an Vorsorgeprodukten entsprechend anpassen. Gleichzeitig sehen wir, dass das Marktpotenzial in Deutschland bei der Absicherung von existenziellen Risiken noch nicht ausgeschöpft ist. Im Gegenteil: Es herrscht hierzulande seit langem eine Unterversorgung. So besitzt beispielsweise weniger als ein Fünftel der Deutschen eine Risikolebensversicherung, bei der Berufsunfähigkeitsversicherung sind es etwa ein Viertel.

Die gesetzliche Rentenversicherung wird seit Jahren mit einem signifikanten Bundeszuschuss über Wasser gehalten. Wie sehen Sie die Entwicklungen der gesetzlichen Rente? Oder frei nach Norbert Blüm: Ist die Rente noch sicher?

Sicher ist, dass die gesetzliche Rente allein nicht ausreichen wird, um einen finanziell sorgenfreien Lebensabend zu verbringen. Daher ist die private und betriebliche Altersvorsorge nicht nur wichtig, sondern unerlässlich, um Altersarmut wirkungsvoll vorzubeugen. Ich schaue aktuell mit großer Ungeduld in Richtung Berlin.

In diesem Jahr soll das Generationenkapital aus der Taufe gehoben werden. Was halten Sie von dieser Idee? Sehen Sie hier geeignetere Ansätze?

Wir begrüßen ausdrücklich das Vorhaben, für die Altersvorsorge der Bevölkerung verstärkt auch die Chancen des Kapitalmarkts zu nutzen. Allerdings sehen wir die Schaffung eines staatlichen Aktienfonds kritisch. Stattdessen sollten gezielt die betriebliche und private Altersvorsorge gestärkt werden.

Mit Blick auf die demografische Entwicklung und die wachsende Langlebigkeit der Menschen sind Reformen unausweichlich. Die Gesetzliche Rentenversicherung ist die größte Säule der Altersvorsorge. Aber es ist sinnvoll und nicht zuletzt aus demographischen Gründen zwingend notwendig, auch die betriebliche und die private Säule zu stärken. Die dritte Säule der Altersvorsorge sollte eine private Rechtsform bleiben.

Staatsfonds-Modelle, die das Kapital einsammeln und verwalten, sind kritisch zu sehen. Staatliche Geldtöpfe sind nur vermeintlich sicher und geschützt vor nicht geplanter Kapitalentnahme. Ein gutes Beispiel ist hier der irische Staatsfonds. In der Finanzkrise 2008 wurde dieser dazu genutzt, irische Banken zu retten. Vom ehemaligen Staatsfonds für Altersvorsorge ist heute nicht mehr viel übrig.

Walter Riester wollte die geförderte Altersvorsorge verpflichtend machen. Wenn das angedachte Obligatorium umgesetzt worden wäre, hätten wir heute etwa 50 Millionen Deutsche mit einer Riester-Rente. Was halten Sie von der ursprünglichen Idee, deren Umsetzung und einer möglichen verpflichtenden Altersvorsorge in der Zukunft?

Riester war und ist ein im Kern gutes Produkt. Das Grundkonzept einer staatlichen Förderung für die private Altersvorsorge hat aus meiner Sicht auch in Zukunft seine Berechtigung. Nur muss das Produkt zukünftig einfacher sein. Riester ist in seiner aktuellen Form nämlich viel zu kompliziert. Gleichzeitig muss das gesetzliche Garantieniveau flexibilisiert werden, da durch die aktuelle Regelung Menschen mit ihrer Altersvorsorge nicht ausreichend von den Chancen am Kapitalmarkt profitieren. Aus meiner Sicht entscheidend ist, dass bei einer staatlich geförderten Altersvorsorge bei der pAV eine lebenslange Rente zwingend vorgesehen ist. Eine Abkehr von diesem Prinzip wäre keine nachhaltige Lösung für die Altersvorsorge und würde vermehrt zu Altersarmut führen.

Von einem Pflichtprodukt halte ich hingegen wenig. Denn diese sind standardisiert und daher nicht in der Lage, die individuellen Bedürfnisse von Kundinnen und Kunden in der Vorsorge vollständig zu berücksichtigen. Viel wichtiger aus meiner Sicht ist daher Wahlfreiheit und eine zielgerichtete Ansprache, um beispielsweise der persönlichen Risikoneigung oder dem individuellen Anlageverhalten der Menschen gerecht zu werden.

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"Was gut gemeint ist, führt zu einer Informationsflut"

Welche Maßnahmen kann die Versicherungswirtschaft oder auch die Politik ergreifen, um Kunden mit niedrigem Einkommen oder schwächeren finanziellen Verhältnissen den Zugang zu Altersvorsorgeprodukten zu erleichtern?

Wir als Versicherungswirtschaft weisen immer wieder auf die Notwendigkeit einer privaten Vorsorge fürs Alter hin und versuchen, die Menschen von den Vorteilen für sie persönlich zu überzeugen. Es geht darum, die Berührungsängste abzubauen und diese Menschen abzuholen und richtig anzusprechen. Dazu gehört auch, Vorurteile abzubauen und deutlich zu machen, dass jeder investierte Euro, und seien es nur geringe Beträge, eine größere finanzielle Unabhängigkeit im Alter bedeutet.

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Hinzu kommt das Wissen um steuerliche Vorteile, die der Staat Vorsorgesparern gewährt. In diesem Kontext überzeugt etwa die Basisrente mit der Möglichkeit, sich die Aufwände für die Altersvorsorge zu einem großen Teil vom Staat finanzieren zu lassen. Dies ist gerade in wirtschaftlich herausfordernden Zeiten besonders attraktiv.

Die Verantwortung der Politik ist es, die Rahmenbedingungen für die private Vorsorge zu verbessern und Prozesse zu entbürokratisieren. Konkret heißt das, Versicherern und Versicherten nicht immer neue Informationspflichten aufzulegen. Was gut gemeint ist, führt zu einer Informationsflut, die Kunden am Ende mehr verunsichert als hilft.

Das Thema Altersvorsorge bei Selbstständigen wird gefühlt in der Endlosschleife gespielt. Welche Lösungen sehen Sie hier?

Die Versicherungspflicht für Selbstständige ist ein ganz wichtiges Thema, denn Selbstständige haben bislang keinen oder nur geringen Anspruch auf gesetzliche Leistungen. Eine private Vorsorge ist für sie daher nicht nur wichtig, sondern auch richtig, um drohender Altersarmut entgegenzuwirken. An einer Versicherungspflicht für Selbständige führt aus unserer Sicht kein Weg vorbei, um diese Gruppe vor drohender Altersarmut zu schützen. Denn zu oft stehen etwa Taxifahrer, Gastronomen oder Künstler zu Beginn des Rentenalters vor finanziellen Herausforderungen und können sich den Ruhestand schlicht nicht leisten.

Aus unserer Sicht dabei wichtig ist, dass die Versicherten eine Wahlfreiheit für ihre Absicherung erhalten. Nur so lassen sich die individuellen Bedürfnisse der Selbstständigen an eine Altersvorsorge erfüllen. Noch wichtiger wäre es, wenn die Versicherungspflicht in Berlin nun endlich beschlossen würde. Immerhin hat die Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag dieses wichtige Reformvorhaben bereits benannt, nur umgesetzt wurde es bislang nicht. Hier wünsche ich mir ein höheres Tempo bei der Umsetzung der angekündigten Reformen.

"Wir planen Neuerungen im Produktportfolio"

Die Bedürfnisse von Unternehmen und Arbeitnehmern ändern sich rasant. Inwiefern schrauben Sie an der Produktpalette im Bereich der betrieblichen Altersvorsorge (bAV), um den Herausforderungen am Markt gerecht zu werden?

Das bAV-Geschäft ist sehr wichtig für uns und bildet auch einen vertrieblichen Schwerpunkt für 2024. Wir konnten im vergangenen Jahr viele neue Kunden von den Vorteilen der betrieblichen Altersversorgung überzeugen. Denn die bAV bietet viel mehr als „nur“ die Vorsorge fürs Alter. Arbeitnehmerinnen und -nehmer können zum Beispiel ihre Arbeitskraft über eine Grundfähigkeits- oder eine Berufsunfähigkeitsversicherung im Rahmen der bAV absichern und gezielt Schutz vor vorzeitigen finanziellen Risiken in Folge des Verlusts einer oder mehrerer Grundfähigkeiten erhalten.

Mit der Ergo Body Protect haben wir als Ergo Vorsorge im September 2023 eine völlig neue Grundfähigkeitsabsicherung auf den Markt gebracht und so auf die steigende Nachfrage reagiert. Arbeitnehmerinnen und -nehmer können ihre Versorgung damit deutlich stärker nach ihren individuellen Bedürfnissen, Interessen sowie Lebens- und Berufssituationen gestalten. Insgesamt schlummert noch viel Potenzial im bAV-Markt. Hier wollen wir unsere Position in Zukunft stärken – und planen auch Neuerungen in unserem Produktportfolio für das laufende Jahr.

Welche Rolle spielen KI und Robotics bei der Optimierung Ihrer Prozesse oder in der automatischen Policierung?

Ergo hat die Ambition, bis 2025 digital führend zu sein in der Versicherungsbranche, sowohl in Deutschland als auch in ihren internationalen Kernmärkten. Die Einführung neuer Technologien wie zum Beispiel Künstliche Intelligenz (KI) oder Robotics spielt dabei eine zentrale Rolle. So haben wir beispielswiese KI im Kundenservice bzw. Eingangsmanagement im Einsatz. Damit sind wir im Service noch schneller geworden. Kundenanfragen werden dort, wo die Technologie aktiv ist, jetzt unmittelbar erkannt und bearbeitet – hierdurch können bestimmte Kundenanliegen bis zu mehrere Arbeitstage schneller erledigt werden als früher.

Unsere Roboter fertigen wiederum für unsere Kunden auf persönliche Anfrage über unsere Webseite neue Policen aus. Bereits heute wird ein signifikanter Anteil unseres Neugeschäfts automatisch verarbeitet, sodass für unsere Kunden eine sehr schnelle finale Policierung gewährleistet ist. Zudem haben unsere Kunden und Vertriebspartner über Online-Services die Möglichkeit, diverse Vertragsänderungen zu beantragen, die zu einem hohen Anteil vollautomatisiert bearbeitet werden können.

Die Fragen stellte Björn Bergfeld. Das Interview ist im Versicherungsbote Fachmagazin 01/2024 erschienen, das hier kostenfrei abonniert werden kann.

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